Turracher Höhe

Wenn andere bereits von Wärme und Frühlingsgefühlen träumen, dann bin ich so richtig in Winterstimmung – es dauert halt immer ein wenig bei uns in der Familie, bis alle in jahreszeitlichem Gleichklang schwingen. Sicherlich ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass wir in Linz nur selten ab Dezember in ein winterliches Flair eingehüllt sind. In meinen Jugendtagen, im Norden von Oberösterreich nahe der tschechischen Grenze, war tägliches Schneeschaufeln im Dezember ganz normal. Und bei unserer damaligen Garagenausfahrt türmten sich die Schneewände beiderseits mindestens 1 ½ Meter hoch. Normalzustand anno 1985.

Zudem gibt es in den Weihnachtsferien die familiären Verpflichtungen zu erfüllen und in den Semesterferien ist auf den Pisten zu viel los.

Die Quadratur des Kreises aller Anforderungen unter einen Hut zu bekommen kann beim Skifahren im März gelingen, sofern die Wetterlage mitspielt. Heuer waren die Voraussetzungen dafür vielversprechend: eine hervorragende Schneelage, Sonne, aber noch keine frühlingshaften Temperaturen und zudem aufgrund des eingangs erwähnten Statements wenig zu erwartende Skifahrer auf den Pisten. Ideal!

Fürs Aussuchen des Skiressorts bzw. Hotels sind meine Mädels zuständig. Diesmal ging es also auf die Turrach. Kein Megaskigebiet für höchstsportlich ambitionierte Urlauber, aber das sind wir Drei ohnehin nicht. Stattdessen lieber im Einklang mit langem Ausschlafen, ausgiebigem Frühstücken, auf das während der Arbeitswoche normalerweise komplett verzichtet wird, 4 Stunden Genussskifahren – wohlgemerkt dann ohne Hüttensitzen und Hüttengaudi –  Schneewandern, Sauna/Schwimmen/Wellness und einem gepflegten Abendessen. Genug Aktivitäten, um dann spätestens um 11h abends in den verdienten Murmeltiertiefschlaf zu fallen.

Und ehrlich, das hochalpine Panorama Richtung Nockberge bzw. Gurktaler Alpen an der Ländergrenze zwischen Kärnten und der Steiermark, das am Gipfel der Berge genossen werden kann, das hat schon was Erhebendes! Da brauchts auch nicht allzu viel Vorstellungskraft, dass dieser Platz auch im Sommer ein guter Ort zum Energietanken ist – frische Höhenluft ohne Mörderhitze, ein auch im Sommer sehr erfrischender See mit Temperaturen bis max. 20°C und ein weites Netz an alpinen Wanderwegen direkt vor der Haustür.

Klimatisch konnten wir diesmal Mitte März alles erleben, was das Herz und der Wunsch nach einem Abenteuerurlaub begehren lässt. Sonne, Wärme, Firn, Wind & horizontales Schneegestöber, klirrend kalte Nächte mit morgendlichem Pulverneuschnee, aber auch einen Wetterumschwung von Sonne hin zu dichtestem Nebel, der uns innerhalb einer Viertelstunde einen Blindflug von der Bergstation der Kornockbahn verschaffte. Dank dichtestem Schneetreiben erlebten wir Yeti-Feeling mit Eiszapfen im Gesicht und der einsetzende Nebel – sprich: Sichtweite null – hielt unseren Adrenalinspiegel beim Versuch der Abfahrt Richtung Tal konstant hoch. Abenteuer pur – bei der ich auch feststellen durfte, dass ich mich in einer solchen Situation auf meinen Gleichgewichtssinn nur mehr bedingt verlassen kann. 2 bis 3 Schwünge im weißen Nichts und beim Nächsten umgefallen wie ein Sack Mehl. Nicht lustig!
Aber bereits nur eine Stunde später blinzelte die Sonne wieder stellenweise hervor. Der Wind durchzog die Bergregion und war so Vorbote eines strahlend blauen Sonnentages, den wir am nächsten Tag als Geschenk des Himmels hauptsächlich auf der sich in perfekten Zustand präparierten 21er-Eisenhut-Piste der Turrachbahn verbrachten.

Umso mehr konnte ich nach meinem „Nebelerlebnis“ das angenehme Ambiente im bei vielen kleinen Details wundervoll durchdachten Hotel Hochschober genießen –  so zB. ein auf Weltklasseniveau agierender Anatoli beim 3er-Aufguss in der Panoramasauna. Wo sonst kann ein stimmungsvoller, indirekter Sonnenuntergang mit Blick Richtung Kilnprein parallel zum wärmeverteilenden „Handtuch-Doppelhelikopter“ von Anatoli genossen werden? Wo sonst kann der so auf alle Rotschattierungen erwärmte Körper anschließend wie beim Stahlhärten im Eisbad des 2°C kalten Turracher Sees blitzartig abgekühlt werden? Eine Übung, der im Übrigen auch das österreichische Bundesheer mitten am See frönt. Im Gegensatz zu mir aber nicht im Adamskostüm, sondern in doppelter Neoprenmontur. Trotzalledem noch immer eine Herausforderung für Mensch & Technik.
Anschließend noch Frischluft genießen, in Gedanken den Tag Revue passieren und mit den schneeverwirbelnden Windhosen den Blick über den See schweifen lassen, über den uns untertags noch ein Pistenbully als Verbindung zwischen Ost- & Westhälfte des Skigebiets gezogen hat. Ruhe & innerliche Gelassenheit machen sich in mir breit. Ab auf einen taiwanesischen Grüntee in den hoteleigenen Chinaturm.

Die vorhandenen Schneemengen sowie der Schneefall vor den abendlich beleuchteten Nadelbäumen, den wir als Ausblick von unserem Sitzplatz im Restaurant hatten, wähnten uns nicht im Frühlingsschiurlaub, sondern versprühte das tiefwinterliche Flair der Weihnachtszeit. Die Zeit steht kurz still – nein: sie spult zurück. Und so können wir auch locker über die leichten Schwächen beim abendlichen Hauptgang sowie den Patisserien hinwegsehen. Denn summa summarum ist das kulinarische Angebot über den Tag betrachtet im Hotel ganz ausgezeichnet.

Bei einem gemütlichen Spaziergang rund um den See erhalten wir zudem auch gleich Geschichtsunterricht der touristischen Erschließung der Region. Die Ortschaft Turracherhöhe (jawohl: das ist die amtlich korrekte Schreibweise) auf der Passhöhe selbst ist kurioserweise gleich 2 Bundesländern zugeteilt. Nördlich der Steiermark, Gemeinde Stadl-Predlitz und südlich dem Bundesland Kärnten, Gemeinde Reichenau – 2 Fahnen neben der B95 markieren die Teilung der Ortschaft. Bergbau wurde bereits seit dem Mittelalter betrieben, die Passstraße und somit auch die Erschließung für den Fremdenverkehr jedoch ist eine Errungenschaft der Neuzeit. Im Übrigen war die B95 einmal die steilste Passstraße Kärntens – der 60er Stein, welcher nun ins Ortsgebiet verpflanzt wurde, gibt Kunde vom ehemals steilsten Stück 60 km nördlich von Klagenfurt, das laut Inschrift mehreren Autofahrern das Fürchten gelehrt hatte.

Jedes Hotel am See führt ein Schild, seit wann es den Beherbergungsbetrieb aufgenommen hat und zu welchem Zweck es gegründet wurde. Und trotz der überschaubaren Größe dieser Region scheint hier oben nicht alles eitel Wonne & Sonnenschein zu sein, wie der Verkauf des langjährigen Traditionsbetriebs Alpengasthof Siegel im Jahr 2017 zeigt. Die Homepage ist kurioserweise noch immer online und legt mit dem darin integrierten Bildmaterial stummes Zeugnis ab von längst vergangenen Zeiten. Als Fotomotiv erinnert mich dieses direkt an der Bundesstraße gelegene Gasthaus an meine Schullandwochen vor 30 Jahren. Ein Dinosaurier, ein Relikt aus einer anderen Zeit. Übriggeblieben und jetzt verstorben.

Ebenso direkt an der Bundesstraße auf der Kärnterseite liegt ein architektonischer Schandfleck – das Panoramahotel. Ein quaderförmiger, uniformer, visuell sinnbefreiter grau-beiger Betonzweckbau, hineingeklatscht in den Hang, mit einer abenteuerlichen Auffahrt in Serpentinen, die im oberen Bereich auf Stelzen gestellt wurde. Wer bitteschön hat ein solches Monstrum (in den 70igern=) genehmigt? Architektur mit Fingerspitzengefühl sollte in diesen geografischen Breiten eigentlich zum guten Ton gehören. Österreich sollte ein Synonym für Symbiose aus Landschaftspflege und nachhaltigen Tourismus sein – leider überwiegen wohl noch immer die wirtschaftlichen Interessen der „schwarz kolorierten Kraft am Land“?

Unsere Konklusio?
Eine wettermäßige wie auch (kulinarisch) teilweise emotionale Hochschaubahn, welche wir in 5 Tagen durchleben durften. Charmanter Abenteuerurlaub im Kleinformat. Haben wir’s bereut? Nö – definitiv nicht. Kommen wir wieder? Vielleicht. Dann aber sicherlich einmal im Sommer – wenn’s so richtig heiß ist in den Niederungen. Und darauf müssen wir wahrscheinlich nicht mehr allzu lange warten…

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