Aktuell ist Shanghai wieder präsent in den Medien. Die durch den chinesischen Staatsmann verordnete „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber dem Covid-Virus in China führt zu einer dramatischen (Versorgungs-)Lage in der Metropole. Und in den sozialen Medien machen verstörende Bilder von Männern in weißen Schutzanzügen die Runde. So ändern sich die Zeiten! War es früher der Smog, der die Stadt in die Schlagzeilen brachte, sind es dieser Tage neben Meldungen zur Pandemie auch die Wirtschaftsthemen mit Intimfeind USA sowie Probleme mit dem Gütertransport zur See in Richtung Europa (Stichwort: Lieferzeiten & Containerknappheit).
So erscheint mir aktuell ein guter Zeitpunkt zu sein, um kurz innezuhalten und an meine erste Begegnung mit Shanghai im Dezember 2018 zu erinnern. Dort war die Welt noch „halbwegs in Normalität behaftet“ – aber „big brother is watching you“ galt auch bereits in vollem Umfang zu dieser Zeit.
Natürlich hat jeder seine eigenen Vorstellungen, wie es wohl sein wird, wenn man zum ersten Mal nach China kommt. Einige davon werden wohl erfüllt, andere nicht bzw. erweisen sich schlichtweg als falsch. Klar war für mich aber, dass ich dem „echten & wirklichen“ China bei meinem Besuch in Shanghai wohl nicht begegnen werde.
Und doch war ich natürlich gespannt, was mich in der östlichen Wirtschaftsmetropole erwarten würde und wie weit sie ein eigenes Flair umgeben wird? Das ist natürlich eine naive Vorstellung, denn jede Großstadt besitzt einen speziellen, ganz unverwechselbaren Charakter! Und da ich auch ein paar Stunden in Richtung Wuxi ins Landesinnere unterwegs war, habe ich doch auch erste Impressionen des Landes abseits der Millionenstadt gewinnen können.
Shanghai – wörtlich übersetzt: (Stadt) über dem Meer – ist mit jenseits der 20 Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen unserer Welt. Und was ich bei meinem Businesstrip zu sehen bekommen habe, hat mich doch überrascht: die Ruhe und Zivilisiertheit ihrer Einwohner, die Anzahl der Elektrofahrzeuge – kein einziges Stinke- & Knattermoped mehr – die Vielfalt und Qualität des Essens, die Skyline von Pudong (schlichtweg sehr, sehr beeindruckend) und die Trinkfestigkeit der Chinesen in Punkto Schnaps. Und natürlich auch die Möglichkeit, mit der Magnetschwebebahn Transrapid von der Longroad-Station zum Flughafen zu reisen – aber das ist ein klassisches Beispiel von West-Import „Made in Germany“.
Aber alles der Reihe nach. Die Aussicht vom Okura Garden-Hotelzimmer in einer der oberen Etagen ist schon ganz ok. Alt und Neu sowie Niedrig und Hoch in einem friedlichen Nebeneinander.
Zum Schmunzeln fand ich das vollautomatisierte, stille Örtchen im Hotelzimmer. Ein High-Tech-Wunder fernöstlicher Herkunft, zu dessen Bedienung es mindestens ein Diplom benötigt! Hat man aber einmal den Dreh der Bedienung heraußen, soll es den Erzählungen nach Personen geben, die für längere Zeit das Bad nicht mehr verlassen wollten 😉.
Letzteres galt für mich eher für die in der obersten Etage angesiedelte Sky-(Wein)-Bar. Alle flüssigen Schätze werden im Foyer in meterhohen Edelstahl-Glas-Vitrinen liegend zur Schaugestellt. Die wird die Wahl zur Qual – nicht nur der Vielfalt wegen, sondern auch wegen einer sehr exklusiven Preisgestaltung.
Bei Anbruch der Dämmerung machen wir uns zu Fuß auf den Weg zum „Bund“. Entlang der Huaihai Middle Road flanieren die (deutschen) Luxuskarossen – Reichtum wird hier offen zur Schau gestellt – und es sind viele der westlichen Flagship-Stores hier angesiedelt. Beliebig zu all den anderen Großstädten und einfach austauschbar. Viel interessanter sind da die zahlreichen Lebensmittelgeschäfte mit (für mich oftmals nicht zu identifizierbaren) Inhalten, ein Spektakel an Farben und Formen, Vielfalt, von denen wir in Westeuropa nur träumen können. Ob ich einiges davon aber auch auf meinem Teller haben möchte, das ist eine andere Frage.
Plötzlich stehen wir am Ufer des Huangpu am „The Bund“ und blicken in ein hellerleuchtetes und animiertes Lichterspektakel auf der anderen Seite in Richtung Pudong. Der Huangpu – „Fluss am gelben Ufer“ – teilt Shanghai von südwestlicher in nordöstlicher Richtung in zwei Hälften und mündet dann in den Janktsekiang, den „langen Strom“.
Wow!
Nur Hochhäuser allein, das war gestern! Hier regiert ein grell bunt erleuchtetes Lichtermeer, flackernd und flirrend, jede Fassade agiert als Multimedia-Leinwand. Dazu die architektonisch abwechslungsreich gestaltete Skyscraper-Architektur – das ist eine neue Dimension urbaner Effekthascherei für mich! Da fällt mir beim Hinschauen erstmals nur die Kinnlade runter. Das ist visuelle Überforderung – sensual overload!
Hier schlägt die Gigantomanie Chinas durch, der staatlich verordnete Wille, dem Westen Paroli bieten zu können. Nein, nur auf Augenhöhe zu sein, das wäre für das Reich der Mitte ein zu wenig ambitionierter Plan. Dem Rest der Welt die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen, dem Westen und vor allem den USA zu zeigen, wer in technologischen Aspekten als auch gesellschaftlich Sozialem die Führung innehat, das ist die manifestierte Überschrift dieses KP-Drehbuchs hier.
Doch schnell adaptieren sich meine Augen und finden Gefallen an den überdimensionierten Werbeplakaten an den Hochhausfassaden. Und mittendrin der Oriental Pearl Tower sowie ein „überdimensionierter Flaschenöffner“ – das Shanghai World Financial Center gleich neben dem mit 632 m höchsten Gebäude der Stadt, dem 127-stöckigen, gewundenen Shanghai Tower.
Und entlang der Flaniermeile am „The Bund“ ist jedenfalls einiges los. Menschen flanieren entlang des Flusses und strömen auf die zahlreichen Ausflugsboote. Hier scheint die im goldenen Gelb beleuchtete, klassizistisch gestaltete „alte Welt“ am Westufer mit der Moderne im Osten zu ringen. Ein jedenfalls spannungsgeladener Dialog, eine Metapher und ein Sinnbild für den Aufbruch Chinas in die Moderne? Jedenfalls gelungen!
Wir spazieren in Richtung Norden zur Waibaidu-Brücke. Vorbei geht’s an martialischen Heldenstatuen wie dem ehemaligen Außenminister Marschall Chen Yi neben kunstvoll dekorierten Blumenmauern mit zahlreich integrierten Überwachungskameras. So ist das eben in China. Der Deal lautet: Freiheit und Wohlstand im Gegenzug zu kontrolliertem und systemkonformem Verhalten der Bürger. Und immer wieder das Rot als starkes Symbol Chinas. Fotoshooting mit einem feschen Model, topless bei Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt. Und natürlich ganz in Rot gekleidet. Ganz genauso wie das Volkshelden-Denkmal bei der Mündung des Suzhou-Flusses in den Huangpu.
Von dort ist auch die illuminierte Waibaidu-Brücke gut zu fotografieren. Sie ist die einzig noch bestehende Fachwerksbrücke Shanghais (gebaut von einem amerikanischen Unternehmen aus Cleveland) und weckt bei mir Erinnerungen an die alte Linzer Eisenbahnbrücke. Die vom mir im Bild eingefangene Szenerie mit dem am gegenüberliegenden Ufer hinter der Brücke stehenden, geschichtsträchtigen Broadway Mansions-Hotel weckt gespenstische Assoziationen aus einem Spionagethriller aus Zeiten des kalten Krieges. „Brücke ohne Wiederkehr“ fällt mir dazu spontan als Filmtitel ein 😉. Und da hilft auch nicht die Tatsache, dass das Hotel im Art Deco-Stil erbaut wurde und die Brücke den historischen Namen „Garden-Bridge“ getragen hat. Bei Nacht ein Ort des Schreckens!
Alles in allem jedenfalls ist die Skyline der Stadteile Pudong und Huangpu entlang des Abschnitts am gleichnamigen Fluss wirklich sehenswert. Zu nächtlicher Stunde ein imposantes Schauspiel, die Illumination verstärkt das Farbenspiel, am Tag verschwindet alles eher im Einheitsgrau der Stadt.
Uns auch das Essen in Shanghai ist vom Feinsten. Gemeinsames Speisen und Trinken gehört in China zum täglichen sozialen Umgang. Dabei wird bei Gästen eher geklotzt, denn gekleckert. Die chinesische Küche (die es so als Überbegriff der jeweiligen regionalen Kantonsunterschiede beim Essen ja gar nicht gibt) ist enorm abwechslungsreich und schmackhaft. Und am runden Tisch mit dem Drehteller kann jederzeit auf alle Speisen rasch zugegriffen werden. Die ganze Vielfalt Chinas lässt sich an einem einzigen Abend entdecken! Kein Wunder, dass sich die Chinesen mit unserer Langnasen-Küche, die sich immer auf ein paar wenige ausgesuchte Gerichte zur Speisenfolge beschränkt, nur schwer anfreunden können. Wer möchte sich schon beschränken, wenn er tagtäglich die gesamte Auswahl haben kann? Das Preisniveau der Lokale reicht von spottbillig bis unerschwinglich – ein Preisband, das jede Geldtasche und jeden Anspruch zufriedenstellt.
Jedenfalls – und das sei nur noch der Vollständigkeit halber angeführt, weil dies eine Selbstverständlichkeit des Wissens sein sollte – hat das China-Restaurant bei uns um die Ecke mit der hier dargebotenen Küche nur sehr wenig gemeinsam.
Und natürlich bin ich mit der Magnetschwebebahn – dem Transrapid bzw. hier in Shanghai lokal Shanghai Maglev Train genannt – in Richtung Flughafen gefahren. Wir haben extra das Zeitfenster am Vormittag gewählt, um die unglaubliche Höchstgeschwindigkeit von 430km/h zu erreichen. Exakt 7‘ 20‘‘ benötigt der Shanghai Maglev Train für die 30 km lange Strecke. Keine volle Minute kann die Höchstgeschwindigkeit gehalten werden, denn rund 12.5 km wird zum Beschleunigen als auch wiederum für die Verzögerung bis zum Stillstand benötigt. Jedenfalls ein tolles Erlebnis für europäische Verhältnisse, auch wenn das Innenleben des Zuges bereits ein wenig mitgenommen aussieht. Mit einem Preis von 50 Renminbi (~ 7 €) ist die Fahrt in unserer Welt preiswert, hier entspricht dies dem 10-fachen der innerstädtischen U-Bahn-Fahrkarte. Vielleicht ist dies auch mit ein Grund, warum die Strecke unter Auslastungsproblemen leidet und defizitär wirtschaftet.
Hier in Shanghai gibt es wohl Sehenswürdigkeiten für mehr als eine Woche, da vermag ein Abendspaziergang nur impressionistisch einen Bruchteil der Attraktionen einzufangen. Aktuell schaut es aber durch die rigorosen Quarantänebestimmungen nicht so aus, wie wenn es bald möglich wäre, sein Wissen über diese Stadt weiter vertiefen zu können.
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