WWW – Winter Wunderland Weißabgleich

Mit ziemlicher Sicherheit erreicht der erste Schneefall meine Heimatstadt Linz in der letzten Novemberwoche. Selten, aber doch, kommen die Flocken ein paar Tage früher, niemals aber später! Dass es trotzdem immer wieder zum (Verkehrs-)Chaos kommt, liegt in der Natur der Sache. Und die wiederum hat ihren Ursprung in der Vergesslichkeit der menschlichen Spezies! Geschneit? Bei uns hier? Letztes Jahr zur gleichen Zeit? Nö, kann nicht sein…

Auch wenn einige meiner Mitmenschen mit Schnee in der Stadt hadern, kann ich mich daran richtiggehend erfreuen. Wenn dieser dann auch noch reichlich fällt und liegenbleibt bzw. ein paar Tage – vorzugsweise übers Wochenende – überdauert, heißt es nur: Kamera einpacken und raus in die Natur! In Linz machen oft 100 Höhenmeter den Unterschied zwischen Regen und Schneefall aus und so sind die Erhebungen, die Linz von Ost über Nord nach West einbetten, ein gutes Ziel. Gut eignet sich das Linzer Wahrzeichen, der Pöstlingberg, zum Eintauchen ins winterliche Weiß. Als Rauf auf die 536 Höhenmeter, die jene 266 m über N.N. von Linz doch glatt verdoppeln.

Schnee & Winterfotos gelingen bei fast allen Witterungsverhältnissen: bei Nebel, in der Dämmerung (mit zunehmenden Blauanteil), im Sonnenschein als auch bei heftigem Schneetreiben. Und selbst im eintönigen Grau-in-Grau lässt sich die Tristesse hervorragend festhalten und kann für gruselige Bilder sorgen. Eine dankbare Jahreszeit also für uns Fotografen 😊.

Trotzdem haben Schneefotos so ihre Tücken, denn der Belichtungsautomatik versucht die weiße Pracht auf ein 18%-Neutralgrau einzumessen, anstatt der, für Digitalbilder hinsichtlich Dynamik & Rauschverhalten sinnvolleren ETTR-Logik anzuwenden. Das Ergebnis davon, sind maue, flache und völlig unterbelichtete Fotos. Das musste ich 2009 bei meiner ersten Schneesession mit meiner ersten DSLR schmerzlich lernen, als ich mir das viel zu dunkle Ergebnis am Bildschirm erstmals nicht erklären konnte. Der Test zum Nachvollziehen dieser Fehlfunktion geht aber recht einfach: das Ablichten einer hellen, weißen Wand und einer mittelgrauen Wand liefert ein ähnliches Ergebnis in Helligkeit und Dynamikbereich. Dasselbe gilt i.Ü. genauso für schwarze und graue Flächen. Ob der Belichtungsmesser dabei auf Matrix, mittenbetont oder Spot eingestellt ist, hat keine große Auswirkung – für die Kamera stellen sehr helle oder dunkle Motive eine Herausforderung dar, Extremata, mit denen sie nicht so gut umgehen kann. Schande über die Kamerahersteller, die zwar Unsummen an Geld für die Produktion neuer Sensoren ausgeben, um ein Quäntchen Mehr an Dynamik zu gewinnen, eine „einfache SW-Funktion“ Richtung ETTR und korrekter Belichtung aber nicht umsetzen. Eben nicht alle Bilder sind im Mittel „neutralgrau“ und ergeben ein ausgewogenes, gleichverteiltes Histogramm. Für die verbauten Belichtungsmesser ist dies aber genau der erstrebenswerte Normalzustand, da ist alles Einheitsgrau 😉.

Helle Motive – wie die Winterlandschaft – benötigen also Nachhilfe in Form einer manuellen Belichtungskorrektur. +1 EV ist ein guter Startpunkt zum Experimentieren, es können aber auch mal +2 oder gar +3 EV notwendig sein, um die realitätsgetreu abzulichten. Dabei limitieren wir uns aber meistens zu früh, denn selbst die im Kamerahistogramm als bereits überbelichtet angezeigte Weißbereiche sind im Normalfall noch nicht wirklich ausgefressen. Wieviel Spielraum („headroom“) ein Sensor/eine Kamera mit sich bringt, kann z.B. mit Tool-Unterstützung von RawDigger eruiert werden (~1/3 bis 1/2 EV ist da meistens noch drinnen). Dies auszuspielen vermag aber ohnedies nur ein Fotograf, der mit Stativ arbeitet, da ansonst die Verwackelungsunschärfe dem Erreichen eines ETTR-Histogramms eine Grenze setzt. Also die immer kürzer werdenden Belichtungszeiten durch das permanente Raufdrehen der Belichtungskorrektur. Und der dritten Freiheitsgrad im Bund, die Sensor-Sensitivität, die hilft uns auch nur bedingt, denn bei ISO 12800 fotografieren, das will ja aufgrand des Rauschens dann auch keiner.

Damit noch nicht genug, denn auch der Weißabgleich hat bei Schneeaufnahmen so seine Tücken. In JPG sowieso, da man hier der Automatik bzw. manuell getroffener Weißabgleichseinstellung ausgeliefert ist und diese ins Bild „fix eingebrannt“ wird. Wer im RAW-Format seiner Kamera die Bilder aufnimmt, hat den Vorteil, diesen Wert während des Post-Processings noch nachträglich anpassen zu können. Überrascht war ich dann doch tlw. von der Eigenheit meiner Fuji GFX50II, welche dasselbe Motiv in Hoch- bzw. Querformat gleich mal um gut 2000 Kelvin bei der Farbtemperatur – und darum geht es ja beim Weißabgleich – unterschiedlich bewertete.

5800 vs. 7600 Kelvin – auch die Kamera kann sich nicht immer gleich entscheiden 😉

Das stellt aber i.d.R. keinen Beinbruch dar, denn das Setzen der Farbtemperatur ist auch dem subjektiven Empfinden und noch mehr dem persönlichen Geschmack, welchen ich einem Bild mitgeben möchte, geschuldet. Echter Winter, eisig kalt, der benötigt einfach ein klares, visuelles Empfinden dieser Temperatur! Und somit auch einen Hauch von Blau. Da ist wenig Komfortzone im warmen, gelben Bereich zu spüren – einfach bei der Bildretusche an die klammen Finger bei der Aufnahme denken, das hilft 😉.

Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht! Die Entscheidung für die „richtige“ Farbtemperatur fällt mir beim Bearbeiten nicht immer leicht. So wie beim Himmel, den es in unzähligen Varianten und Farbabstufungen zu sehen gibt, tu ich mich im Nachhinein oftmals schwer, den richtigen Ton zu treffen. Einen ersten Anhaltspunkt liefert zwar die Weißabgleichs-Pippette, falls im Bild ein Neuralgrau-Bereich enthalten ist, ansonsten hilft aber nur, sich auf sein subjektives Gefühl zu verlassen und „nach Geschmack“ zu entwickeln! Argumentativ kann ich meine Motivation für einen Stil jedenfalls klar darlegen, nur falls eine Verteidigung in der Diskussion mit Kollegen angesagt ist! Immer aber bleiben es meine Bilder, mein Empfinden & Gefühl bei der Aufnahme und ergo dessen auch meine Bearbeitung! Das fällt dann alles unter den Aspekt der künstlerischen Freiheit 😊! Aber davon sei ein anders Mal erzählt!

Mehr bläulich oder gelblich? Welche Farbtemperatur wird dem Bild nun besser gerecht? 7400 vs. 9500 Kelvin

Die plattenbedeckte, rückseitige Apsis der Pöstlingbergkirche war für mich als musteraffinen Seher jedenfalls ein Pflichtfoto. Welch ein toller, monochromatischer Verlauf in dieser Struktur doch drinnen steckt – für mich ein richtiger Augenschmaus & Hingucker!

In der Dämmerung existiert dann bereits wiederum einiges an Spielraum hinsichtlich Wärme- & Kältebetonung. Einfacher wird es auch dann, nicht wenn die künstlichen Lichtquellen in einer anderen Farbtemperatur strahlen als die natürlichen Lichtquellen am Himmel…


PS: Wer dieser ganzen Diskussion um Farbtemperatur und Weißabgleich entgehen möchte, der wählt die Alternative zur Farbe und entwickelt seine stimmungsvollen Winterbilder einfach in Schwarz-Weiß! Aber auch dabei gibt es reichlich Diskussionsstoff, wie obiges Motiv anschaulich verdeutlicht…

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