Trieste (2018)

Alte Liebe rostet nicht!, besagt ein Sprichwort. Naja, sooft war ich noch nicht in Triest. Dreimal bisher und der Besuch als Kind ist mir ehrlich gesagt nicht wirklich in Erinnerung geblieben ;-). Dafür jener aus 2014 umso deutlicher! Was für herrliche Sommertage das waren! Und kein Platz der Erde – so kam es mir in jenen Tagen vor – konnte südländischen Charme besser widerspiegeln als der hier in Triest. Auch wenn es seltsam klingt, nirgendwo konnte ich bisher italienisches Flair intensiver inhalieren. Vielleicht macht’s auch grad diese historische Mischung aus italienischen, slowenischen und österreichischen Einflüssen aus, welche genau an diesem Ort ein wenig Magie entstehen lässt?

2018 besuchen wir Slowenien, machen die Reise durchs Soča-Tal und drehen die Schleife über Görz-Triest-Adelsberg/Postojna nach Laibach (1|2|3, wer Nachlesen möchte). Auch in diesem Sommer scheinen unsere Erfahrungen noch die gleiche Gültigkeit zu besitzen: Sonne und Meer, die ganze Uferpromenade ab Miramare ein einziges großes Badevergnügen, der karge Karst im Hinterland mit grandiosen Aussichtspunkten auf Stadt und Küste, ein grandioser Stadtplatz und ganz allgemein herrlich historische Gebäude in Hülle und Fülle. Dies alles gepaart mit Design, locker, lässigem Abendtrubel, Multi-Kulti, stilvollen Italienerinnen, einer Melange aus Unbekümmertheit, Genuss und Lässigkeit, feiern bis in die Nacht – als gäbe es kein Morgen.

Wo also bitteschön, wäre dann im Sommer ’18 ein besserer “place-to-be” gewesen? Eben, genau nirgendwo anders als hier in Triest!

Das dieses Lebensart-Gefühl nicht nur mich in dieser Stadt befallen hat, davon zeugen etliche Bücher (deutscher & österreichischer Journalistinnen und Schriftsteller (Tipp: schmökern im Styria-Verlag), und auch der Eine oder Andere aus meinem Bekanntenkreis retourniert mitsamt enthusiastischer Schilderungen zur Stadt.

Was mich an diesem Platz auch als Fotograf so begeistert, ist der offen zur Schau getragene Verfall dieser Stadt. Diese Dekadenz als Relikt des österreichischen Einflusses und deren Vergangenheit als Marinehafen der Monarchie. Die Mischung macht’s, aus klassizistischer Offenheit in der Neustadt (Borgo Therasianum) – sichtbares Zeichen des damaligen Selbstverständnisses – und der Morbidität, dem deutlichen Verfall. Das übrigens nicht nur in den etwas abseits gelegenen Stadtvierteln! Und immer noch ein Stück von Glanz und Glorie der Vergangenheit zehrend.

Ein Beispiel gefällig? Bitteschön: die Piazza Vittorio Venete mit dem Triton-Brunnen, der zum 50-jährigen Regierungsjubiläum des österreichischen Kaisers Franz Josef 1897 errichtet wurde, umsäumt von der regelmäßigen Fensterflut der alten Post- & Telegraphenverwaltung. Jedes Mal erneut ein Panorama wert!

(4k-Panorama Piazza Vittorio Venete)

Der Schmelztiegel an slawischen, romanischen und deutsch-österreichischen Einflüssen bringen aber auch unaufgelöste Widersprüche mit sich. Zudem der Wunsch, an die glanzvollen Zeiten der Vergangenheit wieder erneut anschließen zu können. Ein aufklärender Artikel in diesem Licht ist „Nicht Ost, nicht West – Triest“ auf OST-WEST. Europäische Perspektiven (OWEP).

4 Tage Triest.pur bieten diesmal Gelegenheit, ein wenig genauer hinzusehen. Da wir die Pflicht bereits vor 4 Jahren absolviert haben, besteht kein Zwang mehr zum Abklappern der must see-Orte. Wir lassen uns entspannter treiben, nehmen manchmal einen kleinen Umweg über eine Seitengasse und haben an bekannten Plätzen nun auch mehr Zeit und Augen für durchrauschende Menschen und die Geschehnisse am Rand. Dabei offenbart sich dann doch der eine oder andere Brennpunkt. Hotspots im Sinne von Versäumnissen, der Reformunfähigkeit des italienischen Staates und der Stadtverwaltung – hier wurde einfach zu lange in den letzten Jahren zugesehen. Geld ist knapp und Einnahmen fließen oftmals direkt nach Rom in die Staatskasse. Beispiele jüngerer Vergangenheit?

  • Schloss Miramare verfällt, ein Artikel auf derstandard.at
  • Linie 2, Tram Opicina: seit der Kollision im August 2018 wurde mehrfach Wiedereröffnungstermine angekündigt, so z.B. 2018! Kein einziger davon wurde aber eingehalten. Aktueller Betrieb jetzt nach 5 Jahren? Fehlanzeige! Berichte dazu auf triestissima|eisenbahn-amateur.ch|wikipedia
  • Wiederbelebung des Porto Vecchio (Alter Hafen) auf ORF|diepresse.com und trend.at.
    Und mit dem vor kurzem durch die Regierung Meloni verkündete Rückzug Italiens vom chinesischen Seidenstraßen-Projekt dürfte das Hafenviertel zumindest wirtschaftlich nicht weiter stärken – eine Chance für die anderweitige Nutzung, z.B. für die Ansiedelung von Forschungsinstituten. Oder wie wär’s mit der Zurückgabe des Areals an die Triestiner Bevölkerung als Park, mit Kunst/Skulpturen udgl.?

Diese Offenkundigkeit, die nun zu Tage tritt, lastet auch auf den Schultern der Bevölkerung, trotz der zur Schau gestellten Gelassenheit im alltäglichen Trubel. Auch bittere Armut wird unverholen sichtbar, als extremes Beispiel mag mein Bild der Frau im Müllcontainer (Gallerie) dienen. So etwas gibt es bei uns in der Region zum Glück nicht mehr zu sehen. Beschämend!

Jetzt aber genug politisiert!

An einigen Plätzen und Orten der Stadt komme ich gerne erneut zurück.  Nach einem entspannten Abend in einer hinter der Piazza Unità nahe gelegenen Hostaria mit Sardinen, Muscheln und einer Flasche friulanischen Weins – was braucht es mehr zum Glücklichsein? – entdecken wir dann beim abendlichen Heimweg die beleuchteten Figuren im Teatro Romano, wie cool ist das denn? Und dann wird mir mitten unterm “Bilder knipsen” die letzte Kamerabatterie leer – so nahe können himmelhochjauchzend und unbarmherzig im Leben beisammen liegen. Kein Problem denkt da jetzt einer, ich komme am nächsten Abend einfach nochmals vorbei, oder? Genau, das habe ich auch so gemacht, nur waren die Figuren eben nicht mehr illuminiert – auch an den Folgetagen nicht mehr. Einfach Pech gehabt!

So wenden wir uns auch den weniger bekannten Attraktionen der Stadt zu, z.B. ein Abstecher zur über der Stadt thronenden Universität (Ausblick! Und wieder ein morbides Gebäude, fast ein bißchen im Brutalismus-Stil) samt anschließendem Besuch des Rosengartens bzw. Rückweg über St.John’s Garden wieder hinunter in die Borgo Teresiano.

Per Bus geht es ab der Ecke Jachthafen/Eisenbahnmuseum vorbei am neuen Hafen und den Industriescheußlichkeiten des lokalem Stahlherstellers Acciaieria Arvedi Spa zur Riseria di San Sabba, dem ehemaligen KZ während der Zeit des Dritten Reichs auf italienischem Boden. Ein aufschluss- & lehrreicher Besuch in musealer Aufbereitung einer grauenvollen Zeitepoche. Die ehemalige Reisfabrik ist zudem auch in einer für mich fotografisch spannenden Gegend eingebettet, in der Nähe von Hochwohnbauten und zwei Fußballstadien (Stadio Nereo Rocco 1|2) bieten sich interessante Perspektiven sowie Muster- und Struktur-Motive an. Und auch die traurige Geschichte einer tödlichen Polizistenattacke auf einen Fußballfan (Stefano Furlan) bleibt Dank eines dort befindlichen Graffiti in Erinnerung (1|2).

Diesmal gab es auch Zeit, das Triestiner Umland zu besuchen:

  • Vom oberhalb der am Karst thronenden Wallfahrtskirche, dem Santuario Mariano di Monte Grisa, gibt es einen tollen Aussichtspunkt!
  • Wer das Panorama über Triest genießen und sich zeitgleich auch ein wenig die Füße vertreten möchte, dem sei die Napoleonica oder Strada Vicentina empfohlen, sie verbindet den Obelisken auf der Strasse Richtung Opicina mit dem Örtchen Prosecco (beide auch per öffentlichem Verkehr zu erreichen).
  • Ein Besuch der Buschenschanken bzw. Weinbars im Trientiner Hinterland darf natürlich auch nicht fehlen, auf in den Karst in Richtung Opicina! Wie cool wäre es, wenn wir die Linie 2 ab Piazza Oberdan nach Opicina nehmen könnten, schade!
  • Wer schon mal in Opicina ist, kann dort auch gleich der Grotta Gigante einen Besuch abstatten. Diese nahe der Ortschaft Sgonico befindliche Grotte galt bis 2010 als die größte Schaugrotte der Welt, ihre Ausmaße betragen 380 m in der Länge und beachtliche 160 m Tiefe. Viele Stufen! Aber auch schön bizarre Tropfsteinformationen gibt es zu besichtigen! Ein bisschen den Charakter des Höhlensaales störend, aber natürlich wissenschaftlich wertvoll, sind die beiden, in die Grotte integrierten Horizontalpendel.
  • Und wem das alles als Programm noch immer zu wenig erscheint, der bucht den Bootsausflug ins pittoreske, im äußersten Südwesten Sloweniens gelegene Piran.
  • Zuguterletzt kann ich als Ausflugsziel noch das nahe Triest gelegene slowenische Lipica und dessen gleichnamiges Gestüt anführen, die Herkunft der weißen Lipizzaner-Pferde. Auch die bekannten slowenischen Höhlen sind dann nur mehr einen Katzensprung entfernt – beides zusammengefasst in meinen Beitrag Slowenien III

Auch wenn unser zweiter Besuch Triests wohl bereits unter einem differenzierteren Blickwinkel abgelaufen ist (es wohnt eben nur der ersten Begegnung dieser wirklich magische Zauber inne ;-), tut dies meiner Zuneigung zu diesem Fleckerl Erde keinen Abbruch. Das gilt wohl auch für die gesamte Region Friaul-Julisch Venetien (Bericht & Bilder).
So gesehen wird uns Triest wohl noch weitere Male beherbergen dürfen. Eine funktionierende und in Betrieb stehende blaue Tramlinie Due sehe ich da aber als Grundvoraussetzung. In diesem Sinn, arrivederci Trieste!

Die Bilder aus 2014 als auch 2018 gib es gemeinsam hier zum Durchblättern: Triest-Bilder-Gallerie bzw. Triest-Umgebung (Miramare, Opicina & Grotta Gigante)

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